02/07/2024 0 Kommentare
»... du bist schön«
»... du bist schön«
# Pfarrerin Gorgas denkt ...
»... du bist schön«
»Weißt du, hier müsste eigentlich eine Frisiertoilette hin.« Sein Lämmchen hatte diesen Satz gesagt und seitdem war er in der Welt, und der junge Mann bekam ihn nicht mehr aus seinem Kopf. Immer und immer wieder sah er seine geliebte Frau vor sich. Er stellte sich vor, wie sie in den Spiegel schauen würde, ihre Augen würden glänzen und strahlen, und ihr Blick würde zuallererst ihm gelten.
Johannes Pinneberg läuft durch die Straßen Berlins und ist verzweifelt. Geld hat er bekommen, verdientes, hart erarbeitetes Geld, viel weniger, als er erhofft hatte. Sein Lämmchen wollte er überraschen und ein Herzenswunsch sollte in Erfüllung gehen. Sie sollte ihre Frisiertoilette haben, obwohl er sehr überzeugt war, dass seine Frau sie nicht brauchte, sie war doch sein Lämmchen und wunderschön. Wenn er sie nur ansah und sie zurückschaute, war einfach alles gut.
Aber oft war nichts gut. Pinneberg, der „Kleine Mann“ gehört zu den sogenannten „Kleinen Leuten“. Oft schon war er in seinem Leben kleingemacht worden. Zusammengestaucht. Runtergeputzt. Übersehen. Durchs Netz gefallen.
Manchen trifft es eben. Er hatte sein Lämmchen getroffen, das stille, kleine, große Glück seines Lebens. Und jetzt war ihr Murkel, ihr Kind, unterwegs und seine Frau wünschte sich eine Frisiertoilette. Und der junge Mann wird es tun. Er wird völlig aberwitzig handeln und am Abend des Tages mit einem Möbelstück nach Hause kommen, das viel, viel zu teuer ist. Und er wird darauf bestehen, dass seine Frau sich vor die Frisiertoilette setzt und in den Spiegel schaut. Sie soll die erste sein. Es soll ein gütiger Blick sein, der da in die Welt kommt. Unvernünftig, absurd, wahrhaftig wird der „Kleine Mann“, Johannes Pinneberg, sich verhalten. Sie werden ihn nicht kleinkriegen, auch dann nicht, als ihn die Wucht der Verhältnisse in den Schmutz stößt und die Frisiertoilette lange schon keinen Platz in der schäbigen Behausung mehr hat, in der die kleine Familie später wohnen wird.
Denn dieser Mensch wird gehalten werden von seinem liebenden Gegenüber. Bis zum Ende der Geschichte. Es ist nur eine Geschichte. Und eigentlich hatte der große Dichter Hans Fallada auch nur von einer leichten, beschwingten Ehegeschichte geträumt, von der Geschichte einer ganz einfachen, kleinen guten Ehe - ein Kind wird geboren, zwei sind glücklich, drei sind glücklich.
Aber der Dichter mit dem märchenhaften Namen kommt an der Realität der Jahre 1931/32 nicht vorbei. Massenarbeitslosigkeit, Weltwirtschaftskrise, Notverordnungen, die den kleinen Mann noch kleiner werden lassen. Und so entsteht in sechzehn Wochen Falladas großer Roman »Kleiner Mann - was nun?«, der bis zum heutigen Tag nichts von seiner Wahrheit und von seinem realistischen, zärtlichen, hoffenden Blick auf eine Welt des Niedermachens und der Dummheit verloren hat. Lämmchen blickt in den Spiegel und dieser Blick in den Spiegel des geliebten Menschenkindes ist der große Blick in die Seele einer verwundeten Menschheit. Die Leidenschaft der beiden Liebenden kommt am Leid nicht vorbei. Aber es wird sie nicht zerbrechen.
Am Ende der Geschichte wird Lämmchen auf ihren Mann warten, so wie immer von Liebenden gewartet wird. Absurd, aberwitzig, unvernünftig. Sie werden nur noch den Blick aufeinander und ineinander haben. Nicht mehr und nicht weniger.
„Du bist schön.“ Drei Worte, nicht mehr und nicht weniger. Zu finden in der Mitte der Schrift, dem großen König Salomo zugeschrieben. Eigentlich eine Sammlung von Liebesliedern. Nicht mehr. Aber auch nicht weniger. Denn sind es nicht die Liebeslieder, die die geschundene Schöpfung so sehr braucht? Sind es nicht die Liebenden, die die Welt retten können?
Was, wenn ich wirklich darauf traute, dass ich von GOTT in- und auswendig angesehen bin, ja IHM sogar recht bin? Was, wenn ich vor den Realitäten einer machtgierigen Welt nicht die Augen verschließen muss, weil GOTT sie mir schon geöffnet hat? Was, wenn ich am aufgerichteten Kreuz der Passion Jesu den Blick eines leidenden, liebenden Schöpfers sehe? Was, wenn der HERR der Welt uns am Ende wartend mit den Worten empfängt: „Du bist schön!“?
In der Liebe gibt es kein „Wenn“ und „Aber“. Das ist wunderbar und kann sehr schmerzlich sein. Und darum kauft Johannes Pinneberg seinem Lämmchen eine Frisiertoilette. Für diesen einen Blick auf und in die Welt. Und darum haben wir alle das Geschenk der Liebe in uns und die Chance die drei Worte weiterzugeben: „Du bist schön.“
Denn sie sind uns gesagt. Für immer und ewig.
Pfarrerin Barbara Gorgas
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