Tagebuch

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# Angesagt!

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Hanna schreibt Tagebuch.
Jeden Abend sitzt sie in ihrem Zimmer und überlegt: Was ist heute gewesen?
Was habe ich gefrühstückt? Mit wem bin ich zur Schule gefahren?
Was haben wir in den Pausen gespielt? Mit wem habe ich mich verabredet?
Und worüber habe ich mich mit meinem Bruder gestritten?
Seit Wochen hält Hanna dieses abendliche Ritual durch und ist stolz darauf.
Dann kommen die großen Ferien.
In den Ferien geht man spät ins Bett und macht Ausflüge.
Man trifft sich mit Freunden, geht baden und grillt.
Man sitzt am See bis die Sonne hinter den Bäumen verschwindet.
Man blickt in die Sterne und fragt sich, wie weit die wohl in Wirklichkeit entfernt sind.
Es bleibt kaum Zeit zum Schreiben – Hanna gerät in Rückstand.
Was haben wir eigentlich vorgestern gemacht?
War das der Tag, an dem es geregnet hat oder der mit dem langen Spaziergang? Hannas Mutter zuckt mit den Schultern.
Auch sie weiß es nicht mehr. Und das scheint sie nicht zu stören.
Früher hätte Hanna sich darüber auch nicht den Kopf zerbrochen.
Aber jetzt gibt es das Tagebuch.
Hanna merkt, wie lückenhaft ihre Erinnerung schon nach drei Tagen ist.
Wie soll man sich da an etwas erinnern, das ein Jahr zurückliegt? Oder zwei oder drei?
Der Streit mit der Freundin im letzten Sommer.
Die Tränen über ein verlorenes Spielzeug, als sie vier war.
Das alles war doch wichtig! Und heute kann sie sich nur noch schemenhaft daran erinnern.
Im Tagebuch jedoch, da würde sie nachlesen können, was gewesen ist.
Wenn nur nicht dieser Rückstand wäre!
Irgendwann wird Hanna vielleicht kapitulieren.
Sie wird sich vielleicht sagen: Wen interessiert es eigentlich, mit wem ich am 11. Juni 2018 den Nachmittag verbracht habe und worüber wir geredet haben!?
Doch dieser Gedanke tut irgendwie weh – Interessiert es wirklich niemanden?
In der Bibel steht an einer Stelle: »Deine Augen, Gott, sahen mich, als ich noch nicht bereitet war, und alle Tage waren in dein Buch geschrieben, die noch werden sollten und von denen keiner da war.« (Ps 139,16) 
Gott ist allmächtig, allwissend und allgegenwärtig, so heißt es.
Vielleicht bedeutet das ja: Gott interessiert sich für Hannas Tage.
Für alles, was sie erlebt und dann doch selbst so schnell vergisst.
Vielleicht heißt das ja auch: Gott ist groß genug, dass ihn das Wissen um unser Leben, um unsere Gedanken, Hoffnungen und Freuden, auch um unseren Schmerz und Kummer nicht überfordert.
Vielleicht heißt es: Gott hat all unsere Tagebücher vor sich.
Lückenlos. Die geschriebenen und die ungeschriebenen.
Zu jeder Zeit.
Und es interessiert ihn brennend, was dort steht!

Ihr
Stefan Jankowski

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