Der Spruch an der Wand

Der Spruch an der Wand

Der Spruch an der Wand

# Aus der Gemeinde ...

Der Spruch an der Wand

Bei meinem Onkel, der auf einem Bauernhof in einem kleinen Dorf in Hessen lebte, hing im Wohnzimmer in einem Rahmen ein Spruch. Sicher hatte er dort schon sehr lange gehangen, als er mir bei einem Besuch zum ersten Mal auffiel:  

Immer nur Sonnenschein wäre zu hell.
Immer nur weitergehn wäre zu schnell.
Nebel und Regenguss muss einmal sein,
willst du am Sonnenschein doppelt dich freun.  

Damals, als ich meinen Onkel besuchte, hatte sich gerade eine große Hoffnung in meinem Leben zerschlagen, und ich hatte das Gefühl, bei mir sei alles zum Stillstand gekommen. Und als ich diesen Spruch an der Wand las, sprang mir sofort die Zeile ins Auge: „Immer nur weitergehn wäre zu schnell!“  

"Immer nur weitergehn wäre zu schnell." Ja, so hatte ich mir das vorgestellt: dass mein Leben immer weitergeht, ohne Durststrecken, ohne Stillstand. Und damals habe ich zum ersten Mal begriffen, dass Durststrecken und Stillstand zum Leben dazugehören, dass es ohne sie nicht geht. Die große Enttäuschung, die ich erlebt hatte, lag einige Monate zurück, und jetzt, beim Lesen dieses Spruches, wusste ich plötzlich: Diese Monate waren nicht umsonst gewesen. Sie hatten sich zwar zunächst sinnlos angefühlt, aber das Verarbeiten dieser Enttäuschung war wichtig gewesen.  

Heute bin ich froh und dankbar für Zeiten in meinem Leben, die ich mir zwar nicht gewünscht hätte, die mich aber weiter gebracht haben, auch wenn sie sich zunächst sinnlos anfühlten.  

Ich denke dabei auch an Hiob, der so viel Leid ertragen musste und darin auch keinen Sinn erkennen konnte. Sein Leben schien nicht weiterzugehen, aber dann sprach Gott mit ihm. Und durch dieses Reden mit Gott in der Zeit, wo das Leben aufzuhören schien, kam Hiob schließlich an einen Punkt, an dem er sagen konnte: "Ich hatte von dir nur vom Hörensagen vernommen, nun aber haben meine Augen dich gesehen!"  

Vielleicht können wir Gott nur dann richtig sehen, wenn wir durch Zeiten des Leids und des Stillstands gehen und merken, wie Gott dort an unserer Seite ist und mit uns spricht. Fest steht: Wir erleben Gott anders, wenn wir leiden müssen; er ist uns dann näher, weil wir ihn so dringend brauchen.  

Der Spruch an der Wand hat mir damals geholfen. Durch ihn redete Gott mit mir: "Nebel und Regenguss muss einmal sein." Zeiten, in denen wir nicht sehen können, wie es weitergehen kann, sind wichtig. Und wenn Gott uns aus diesen Zeiten herausführt und wir aufatmen können, dann merken wir: Wir sind ein Stück weitergekommen; wir haben eine Erfahrung gemacht, die nicht nur uns selbst, sondern auch anderen helfen wird.

Ihre
Regina Schlingheider

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