02/07/2024 0 Kommentare
Auf Augenhöhe
Auf Augenhöhe
# Aus der Gemeinde ...
Auf Augenhöhe
Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan. (Matthäus 25, 40)
Als ich den Wochenspruch aus dem Matthäus-Evangelium las, sah ich zunächst die Schwierigkeit, ihn neu auszulegen. Jede und jeder kennt ihn, und die sogenannten „Sieben Werke der Barmherzigkeit“ haben wir auch schon allesamt verinnerlicht. Dass denen von uns geholfen werden soll, die “hungrig, durstig, als Fremde, nackt oder krank sind oder im Gefängnis sitzen“, war ja ein umfangreiches Thema im Konfirmationsunterricht. Andere Menschen in deren Notlage zu unterstützen, die sogenannte „Diakonie“, gehörte seit jeher zum christlichen Gedankengut.
Dann aber stolperte ich über den Begriff „meinen geringsten Brüdern„. Die Tatsache, dass Schwestern beim Evangelisten nicht erwähnt sind, hat mich nicht überrascht. Dies war im damaligen Weltbild leider noch normal. Aber die Bezeichnung von geringen Brüdern machte mich zunächst stutzig. Als der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse im März diesen Jahres davon sprach “ein Symbol für viele normale Menschen zu sein“ und seine Partei mahnte, nicht die zu verprellen, „die das Gendersternchen nicht mitsprechen wollen und können“, entfachte dies ein Sturm der Entrüstung in der Republik. Ihm wurde unterstellt, dass er andere – bewusst oder unbewusst - mit dem Begriff „normale Menschen“ ausgrenzen wollte bzw. abgewertet hätte.
Die Erkenntnis, wie leicht wir andere Menschen sprachlich oder gedanklich verletzen können, bewegte mich, meine eigenen Erfahrungen in der Diakonie genauer zu reflektieren. In der evangelischen Jungschar unsere Gemeinde wurde in den 50-iger Jahren für die Kinder in Afrika gesammelt. Eine Sammelbüchse in Form eines farbigen Menschen in farbenprächtiger orientalischer Kleidung stand auf dem Tisch, und bei jedem Groschen, der in die Büchse fiel, dankte dieser (mechanisch) pflichtbewusst mit Nicken des Kopfes. Erst später ging mir auf, dass dies eine Geste von oben (Spender*in) nach unten (Empfänger*in) war, und damit leider dem damaligen Zeitgeist entsprach. Die gesellschaftlichen Veränderungen haben zwar im Sprachgebrauch ein von „oben nach unten“-Denken weitgehend verflacht, aber in der horizontalen Sprache ist nun von den „Rändern der Gesellschaft“ die Rede. In den Jahren ab 2000 habe ich dann aber in Leitungsgremien diakonischer Werke erfreut miterlebt, wie einerseits professionell, aber mit viel Engagement und in würdevoller Weise mit den „Klient*innen“ in der Diakonie umgegangen worden ist.
Natürlich hat Jesus mit dem Zitat von „geringsten Brüdern“ keine Abwertung von Menschen gemeint, sondern die Jünger gemahnt, dass sie alle Mitmenschen bei ihrem diakonischen Handeln im Blick behalten sollen; damals war dies noch keine Selbstverständlichkeit. Wenn wir heute neben unserem diakonischen Tun auch noch der Würde jedes einzelnen Mitmenschen, jedes einzelnen Geschöpf Gottes gerecht werden können, haben wir viel erreicht – auch für uns selbst.
Ihr
Michael Lent
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