02/07/2024 0 Kommentare
Aufeinander treffen
Aufeinander treffen
# Aus der Gemeinde ...
Aufeinander treffen
Zu einem Vikariat gehört in unserer Landeskirche auch eine Seelsorgeausbildung und davon absolviere ich gerade den ersten Teil. Und… ich weiß ja nicht, was Sie sich so unter Seelsorge vorstellen, aber mein Bild davon war immer, dass man sich um andere Menschen kümmert, für sie da ist, ihnen zuhört, vielleicht Trost spendet, vielleicht eine Hilfe ist.
Darum geht es auch. Aber das verrückte ist, dass ich mehr und mehr lerne, dass man dafür erst einmal sich selbst sehr gut kennenlernen muss. Denn bei Seelsorge sind ja immer zwei beteiligt und eine:r ist man selbst. Man bringt in jede Begegnung etwas mit – sich selbst. Auch, wenn man ganz beim Anderen sein will. Deshalb ist es wichtig zu wissen, was einen sauer macht, was einem Angst macht, was einen mitreißt. Noch wichtiger ist aber, dass man lernen muss, wie man so ist, wenn man sauer, ängstlich, mitgerissen ist. Damit man sich besser kennenlernen kann, ist es deshalb hilfreich, wenn man ganz verschiedene Emotionen an sich selbst erlebt. Am besten ganz aktuell, damit man sich die Sache sozusagen live angucken kann. Und deshalb braucht man andere Menschen, um sich selbst besser kennenzulernen. Man kann sich doch über nichts so schön ärgern, wie über andere Menschen. Und es ist erstaunlich, wie sehr man sich vor dem Urteil anderer fürchten kann, wenn man mal genau darauf achtet. Besonders, wenn sie einem nicht egal sind. Außerdem ist es hilfreich, andere zu haben, die einem direkt sagen können, wie man eben so ist, wenn man gerade sauer, ängstlich, mitgerissen, überfordert ist.
Es ist unglaublich faszinierend, genau darauf zu achten, was alles passiert, wenn Menschen aufeinandertreffen. Und es ist unglaublich anstrengend. Denn wenn man auf nichts anderes achtet, als auf das, was da gerade zwischenmenschlich passiert, helfen die üblichen Regeln des guten Umgangs schnell nicht mehr weiter. Da kann es im Nu heiß her gehen und ein Konflikt den anderen jagen.
Das klingt vielleicht für manche sehr merkwürdig und glauben Sie mir – das ist es auch. Aber es hat interessante Auswirkungen. Z.B. beginne ich das alte Doppelgebot der Liebe in neuem Licht zu sehen: »Du sollst deinen Nächsten lieben, wie dich selbst!« Denn ich erlebe in diesem Kurs etwas Paradoxes: Je näher ich bei mir selbst bin, wenn ich mich mit anderen auseinandersetze, desto mehr kann ich beim anderen sein. Besonders im Konfliktfall ist es erstaunlich: Je klarer ich weiß, was ich will, was mir wichtig ist und es nicht dem lieben Frieden wegen vergesse oder wegschiebe, desto klarer und ruhiger kann ich anderen begegnen. Und so lese ich dieser Tage auch das alte Gebot. Liebe kann nicht heißen, dass man sich selbst für den anderen aufgibt. Denn sonst fehlt im Miteinander jemand. Wir sind gerade dann füreinander da, wenn wir miteinander immer auch bei uns selbst sind.
Und das schöne ist, dass man das überall ausprobieren kann. Denn anderen Menschen begegnet man ja nicht nur bei der Seelsorge.
Ihr
Vikar Oskar Hoffmann
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