Entscheidung an der Kirchenbank

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Entscheidung an der Kirchenbank

# Aus der Gemeinde ...

Entscheidung an der Kirchenbank

Rotweißes Flatterband, eine klirrende Kette, blaue Kordel, ein Stück sorgsam verknoteter Bindfaden, laminierte Blätter mit Sätzen wie: ‚Das ist ein Sitzplatz!‘, oder: ‚Das ist kein Sitzplatz!‘, liebevoll hergestellte Piktogramme mit Blumen, Palmen, Schmetterlingen, weggeräumte Sitzkissen oder, noch besser, gleich ganz entfernte Sitzgelegenheiten, zusammengeschobene Bänke, lustige Plakate, die die Länge eines Ponys zum Maß aller (Abstands-) Dinge erklären – die Visualisierungen der Abstandsregeln und die Umsetzung der entsprechenden Verordnungen sind inzwischen so bunt wie die Welt. Das Ziel aller Anstrengungen, nämlich Menschen zu schützen und Menschen aufzufordern, ihrerseits andere Menschen zu schützen, ist immer gleich. Von einer Möglichkeit, diesem Ziel näher zu kommen, will ich heute erzählen:

Es war im Urlaub. Das ist ganz klar. Denn im Urlaub gehe ich immer in die Kirche. In jede, die mir über den Weg läuft. Wenn sie denn geöffnet ist. Ich tue das, weil mensch das scheinbar so macht und ich mich gern einreihe in die Schar derer, die zu Hause begeistert berichten, dass sie wieder einmal in der Kirche waren, auch im Urlaub. Ich bin also in Urlaubsstimmung, fröhlich, dankbar, geimpft, geschützt, geliebt und bewahrt. Die Kirche ist geöffnet, die Kraft der Gebete, die in diesem Raum gesprochen, gebangt, gehofft wurden, ist zu spüren. Und zu sehen ist, dass die Gemeinde ihre Kirche nicht in Glanz und Gloria erstrahlen lassen kann. Ich könnte auch schreiben: Die Gemeinde hat kein Geld. Aber erstens stimmt das nie und zweitens kenne ich die Zusammenhänge nicht und habe deshalb auch kein Recht, Mutmaßungen anzustellen oder gar eine Meinung zu haben, die einem Urteil gleichkommt.

Langsam gehe ich den Mittelgang entlang, auf den Altar zu. Gartenblumen duften, die Bibel ist offen, wie ein offenes Buch eben. „Der Herr ist mein Hirte“, so denke ich und schaue mich nach einem Platz um. Wo kann ich sitzen und denken und schauen?

Und dann sehe ich sie. Immer abwechselnd. Rot und grün. Zettel, mit Klebestreifen an den Bankreihen befestigt. Schief. Handschriftlich bezeichnet. Zwei Worte. Auf dem roten Zettel steht: ‚nein‘, auf dem grünen Zettel steht: ‚ja‘.

Ich weiß, was ich zu tun habe. Es ist eindeutig. Klarer geht es nicht. Selbstverständlich setze ich mich in eine Bank mit einem grünen ja-Zettel. Und dann muss ich lachen. Es ist absurd, ich bin ja ganz allein in der Kirche. Ich könnte überall sitzen. Ich bringe niemanden in Gefahr, ich bin nicht in Gefahr. Trotzdem. Das ‚ja‘ muss es sein. Weil es das Ja! zum Leben ist.

Weil es das entscheidende Ja! ist. Weil ich eben nicht allein bin. Nicht in diesem Kirchraum, nicht in der Welt, nicht im Leben und nicht im Sterben. Gott ist mein Ja!, Der Ewige, die Barmherzige, Schöpfer der Welt, Weisheit der Erde, unendlich die Möglichkeiten des Namens. Das Ziel ist immer dasselbe. GOTT sagt JA zu mir, JA zu Seinen geliebten Menschenkindern. Immer. Diese Entscheidung gilt. Zu Gottes JA kann unser Amen dazukommen. In dieser Reihenfolge und nicht umgekehrt. So ist es. Ich bin geschaffen, begabt mit Herz und Verstand. Ich kann entscheiden. Ich kann Ja und Nein sagen. Manchmal muss ich das tun, ganz klar und eindeutig. Manchmal erfordert das Ja! zum Leben ein eindeutiges Nein! Wenn Menschen beleidigt werden, herabgewürdigt, gedemütigt. Wenn sie ohne Würde und Mut irgendwo platziert werden. Wenn sie auf Abstand gehalten werden, damit ich ja nicht zu kurz komme.

Es ist nur ein grüner Zettel an einer Kirchenbank, im Urlaub. Und doch ist es das ganze Leben. Ich stehe auf von meinem Platz, verlasse die Kirche und denke an die Heimreise.

Aber vorher löse ich noch vorsichtig den Klebestreifen und hänge den ja-Zettel gerade an die Bank. So bin ich halt…

Bleiben Sie kirchlich und behütet,

Ihre
Pfarrerin Barbara Gorgas

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