02/07/2024 0 Kommentare
Glocken
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# Aus der Gemeinde ...
Glocken
„Gelobt sei Gott, der mein Gebet nicht verwirft noch seine Güte von mir wendet.“ Psalm 66,20
Ich räume meinen Desktop auf. Die Maus klickt. Die Dokumente, die ich vorausschauend auf den Bildschirm gezogen hatte, wandern in ihre Ordner zurück. Die Arbeit geht gut voran, gleich wird das Hintergrundbild, momentan eine singende Nachtigall, gänzlich sichtbar sein. Nur noch schnell die „Glocken zu Ostern“ in den Osterordner ziehen. Fertig. Fertig?
Ich halte inne und denke darüber nach, dass in diesem Jahr ziemlich viel nicht fertig ist und noch mehr ganz anders. Selbst die Glocken haben anders geläutet in diesem Frühjahr. Gefühlt hat es dauernd irgendwo geläutet, denke ich und muss ein wenig schmunzeln, weil wieder einmal das Gefühl die Oberhand gewinnt. Und Worte wie „irgendwo“ und „dauernd“ bei klarer Analyse so gar nicht helfen. Deshalb gibt es ja meinen Zettel, auf dem steht, wann es normalerweise in der Karwoche und zu den Ostertagen läutet. Normalerweise. Auch so ein Wort. Was ist schon normal? Was entspricht der Norm?
Normal war in meiner Kindheit, dass ich oft an der Kirchentür meine Tante erwartete, die in meinem Heimatort die Läuterin war, um mit ihr auf den Kirchturm zu steigen und ihr bei der Arbeit zuzusehen und vor allem zuzuhören. Sie hat die Abendglocke geläutet und die Mittagsglocke, am Sonntag brauchte sie Hilfe für alle drei Glocken, bei Beerdigungen wusste sie ganz genau, wann die Sterbeglocke wieder angehalten werden musste. Normalität. Und ich durfte helfen bei diesem Dienst und musste lange üben für einen besonderen Dienst. Es dauerte, bis ich das Vaterunserläuten richtig konnte. Den Klöppel fest umfassen und dann neunmal damit die Glocke anschlagen. Hört sich ganz leicht an, ist es aber nicht. Beten will gelernt sein. Dreimal drei Schläge. Dazwischen eine kleine Pause. Zeit, ein Vaterunser zu beten. Zeit, in diesem Gebet den Tag zu Ende gehen zu lassen. Überhaupt den Menschen Zeit zum Beten zu geben. Zu denken, zu bitten, zu danken.
Als Erwachsene habe ich begriffen, wie groß das Vertrauen meiner Tante in mich, das Kind, gewesen sein muss. Sie hat mir das Vaterunser anvertraut und mich manchmal lächelnd gemahnt: „Mach nicht so schnell, Menschen brauchen Zeit“. Längst hat für mein Tante die Sterbeglocke geläutet, längst drückt hier in Borsigwalde der Kirchdienst auf einen Knopf, wenn die Gemeinde das Vaterunser betet. Längst ist die Glockenautomatik perfekt eingestellt. Die Aufgabe ist geblieben. Menschen brauchen Zeit. Und die Vaterunser-Glocke wird geläutet, damit jede und jeder, der sie hört, ganz gleich, wo er oder sie gerade ist, einstimmen kann in das Gebet, das uns Jesus geschenkt hat. Damit wir es lernen und weitersagen.
Beten ist reden mit GOTT. Das will gelernt sein, auch von GOTT. ER lernt, wie wir, das Stammeln auszuhalten und die Ratlosigkeit, und das schnell Dahingesagte und das tief Empfundene. Da ist kein Automatikknopf und das ist schon gar kein Automatismus. Beten ist Gespräch in beide Richtungen. Manchmal vergessen wir, dass GOTT auch etwas zu sagen hat. Manchmal ist Beten auch Zuhören. Manchmal fällt erst in der Stille auf, dass die Glocken läuten. Obwohl sie das schon immer tun. Ganz normal. So normal, wie ein Desktop aufgeräumt werden muss. Fertig. Und Amen!
Pfarrerin
Barbara Gorgas
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