Hebammen

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# Pfarrerin Gorgas denkt ...

Hebammen

„Aber die Hebammen fürchteten GOTT und taten nicht,
wie der König von Ägypten ihnen gesagt hatte,
sondern ließen die Kinder leben.“ 2. Mose 1,17

Seit sie wusste, dass sie schwanger war, tat sie alles ein wenig behutsamer. Sie achtete auf ihre Schritte, wählte ihre Speisen mit Bedacht, lauschte oft in sich hinein und kam an keinem gedruckten Wort über Schwangerschaft und Geburt vorbei. Es waren aufregende Wochen. Sie wollte alles richtig machen, nichts sollte das ungeborene Wunder in ihr entbehren müssen. Medizinische Fachbegriffe, blendend aussehende Schwangere aus Modezeitschriften, Ernährungspläne, Werbebroschüren von Entbindungskliniken und tausend verschiedene Ratschläge von Verwandten und Bekannten wirbelten in ihrem Kopf herum und versetzen sie manchmal schon fast in Angst. Was konnte alles geschehen?
Vor ein paar Tagen hatte sie der Anruf einer Freundin unruhig werden lassen, die einfach nur gefragt hatte, ob sie denn schon mit einer Hebamme Kontakt aufgenommen habe. Sicher, bis zur Entbindung waren es noch ein paar Monate, aber man musste sich beizeiten kümmern. Gute Hebammen waren gefragte Frauen. Nun hatte sie eine lange Liste vor sich liegen, mit den Namen und den Telefonnummern der Hebammen in dieser Stadt. Es waren so viele Namen. Wie sollte sie die richtige Frau für die Stunden der Geburt finden. Sie hatte immer wieder gehört, wie wichtig die Hebamme war, die mit ihrer Arbeit dem Leben auf die Welt half, die mit ihren Händen das Kind heraushob in den Alltag eines Menschen, die mit ihrer Stimme die einzige war, die eine Frau unter den Schmerzen der Geburt überhaupt noch erreichte, und die das Neugeborene versorgen würde. Welche Hebamme sollte sie wählen? Ihre Gedanken gingen auf Wanderschaft. Sie dachte an ihre Großmutter, die von der weisen Frau erzählt hatte, die es angeblich bereits zu Beginn einer Schwangerschaft sehen konnte, ob da ein Junge oder ein Mädchen zur Welt kommen würde. Sie dachte an ihre Mutter, die immer wieder den Satz sagte: „Ohne die Hebamme hätten wir zwei es wohl nicht geschafft.“ Und ihr fiel eine ganz alte Geschichte aus der Bibel wieder ein, die sie irgendwann einmal erzählt bekommen hatte.
Schifra und Pua waren Hebammen des Volkes Israel. Ihre Namen, die soviel bedeuten wie Schönheit und Glanz, sind nie vergessen worden. Der mächtige Pharao, König von Ägypten, hatte die Hebammen zu sich befohlen, um ihnen den Auftrag zu erteilen, alle männlichen Kinder, die von hebräischen Frauen zur Welt gebracht wurden, sofort nach der Geburt zu töten. Ein Mann fürchtete um seine Macht. Er hatte Angst, das Volk, das er unterdrückte, könnte die Ketten sprengen und das Leben selbst in die Hand nehmen. Kleinlich grausame Angst eines Mächtigen. Die Hebammen sollten das Gegenteil ihrer Bestimmung tun. Das Leben sollte vernichtet werden. Schifra und Pua leisteten Widerstand. So, wie es vielleicht nur Frauen können. Sie widersprachen dem Pharao nicht. Aber sie überlisteten ihn. Sie sagten dem König mitten ins Gesicht: „Wir können gar nichts machen. Die hebräischen Frauen brauchen uns nicht. Sie bekommen ihre Kinder ohne unsere Hilfe. wir können gar nichts tun.“ Und der Pharao glaubte diesen Unsinn, weil Machtbesessenheit manchmal auch dumm macht. Und Schifra und Pua kehrten heim zu den Frauen ihres Volkes und dienten dem Leben und hoben es heraus in den Alltag der Welt. Sie taten das, weil sie GOTT kannten und Ehrfurcht vor seinen Wundern hatten.
Es war eine wunderbare Geschichte die ihr da in den Sinn gekommen war. Schöner konnte kein Loblied auf die Hebammen gesungen werden.
Die Liste mit den Namen der Hebammen dieser Stadt faltete sie erst einmal zusammen. Sie würde schon rechtzeitig die richtige finden. Sie würde ihr Kind nicht allein zur Welt bringen. Und vielleicht kannte ja ihre Hebamme sogar die Geschichte von Schifra und Pua, von Schönheit und Glanz. Behutsam legte sie ihre Hände in den Schoß. Dort war das Leben. Es hatte sie verändert.

Pfarrerin Barbara Gorgas



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