Ich sehe was, was du nicht siehst

Ich sehe was, was du nicht siehst

Ich sehe was, was du nicht siehst

# Angesagt!

Ich sehe was, was du nicht siehst

Mein Sohn spielt auf längeren Autofahrten gern „Ich sehe was, was du nicht siehst“ – das Spiel, bei dem man versucht zu erraten, was der oder die andere gerade im Blick hat. Es ist der Versuch, die Perspektive des Gegenübers einzunehmen und manchmal kommt es dabei zu erstaunlichen Entdeckungen.

Und Jesus setzte sich dem Gotteskasten gegenüber und sah zu, wie das Volk Geld einlegte in den Gotteskasten. Und viele Reiche legten viel ein. Und es kam eine arme Witwe und legte zwei Scherflein ein; das macht zusammen einen Pfennig.
(Mk 12,41+42)

„Ich sehe was, was du nicht siehst“, sagt Jesus und grinst mich an. Ich habe neben ihm Platz genommen. Wir sitzen auf dem Gelände des Jerusalemer Tempels. Gegenüber der Schatzkammer. Dort wo die frommen Pilger ihre Geldopfer in den Gotteskasten werfen. Was sieht Jesus?

Ich tippe zunächst auf seine Jünger. Die Erleichterung steht ihnen ins Gesicht geschrieben. Für gewöhnlich sind sie in höchster Alarmbereitschaft, wenn Jesus das Tempelgelände betritt. Oft gibt es dann Ärger. Aber heute hat sich Jesus zum Glück fürs Beobachten entschieden. Mit meinem ersten Versuch liege ich allerdings falsch.

Als Zweites tippe ich auf die Reichen, die viel Geld in den Kasten einlegen. Sehr viel Geld. Ihre Gesichter wirken bedeutsam und zufrieden. Aber nein, auch von denen hat sich Jesus keinen ausgeguckt.

Schließlich deute ich auf die Frau am Ende der Schlange. „Das hat aber lange gedauert“, sagt Jesus und fragt mich: „Was siehst du?“ Und ich antworte: „Eine bemitleidenswerte, arme Frau am Ende ihrer Möglichkeiten. Sie ist gerade dabei sich völlig aufzugeben, denn sie legt zwei Scherflein in den Gotteskasten und verzichtet damit auf das Geld für eine Tagesration Essen.“

„Ich“, sagt Jesus, „ich sehe eine Aufsehen erregende, mutige Frau. Die gibt sich nicht auf. Sie gibt hin, was sie hat. Ihren ganzen Mangel, all ihre Armut wirft sie in den Kasten.“ –

Und plötzlich sehe ich etwas, was ich bisher nicht gesehen habe. Egal ob wir Fülle haben oder Mangel. Es gibt eine Sache, die wir immer tun können: Abgeben. Sogar abgeben von dem, woran es uns mangelt. Jedes Quäntchen Lebensmut und auch noch das letzte Scherflein Hoffnung. Jede müde Liebesmark und jeden noch so kleinen Glaubenspfennig. Investieren können wir den letzten Cent des Wunsches nach Gerechtigkeit, nach erfüllendem Leben und einer heilen Welt ohne Hunger, Gewalt und Kriege. Und von der Fülle können wir abgeben unsere guten Ideen, unsere Begeisterungsfähigkeit, unsern Mut, unsere Liebe und Einsatzfreudigkeit.

Ich sehe was, was du nicht siehst: Die Welt ist Gottes Kasten! Dahinein lohnt es sich zu investieren. Dahinein gehören Haben und Sein. Fülle und Mangel. Not und Zufriedenheit. Wünsche und Hoffnungen. Eben alles, was zum Menschsein gehört. Und nichts von dem, was du gibst, geht verloren. In Gottes Kasten ist es aufgehoben und geheiligt. Und es erfüllt die Welt zum Guten bis zur Ausschüttung am Ende der Zeit. Schau hin!

Vikar Stefan Jankowski

Dies könnte Sie auch interessieren

0
Feed