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Predigt Christmette Martinus-Kirche 2019

Liebe Gemeinde!

Glauben Sie eigentlich an Gott? Ich will Ihnen ja nicht zu nahe treten. Schon gar nicht an Heilig Abend. Aber ich hoffe doch inständig, dass ein paar innerlich mit „Ja“ antworten. Sonst muss ich mir einen anderen Job suchen.

Die Frage ist nicht so abwegig, wie Sie vielleicht denken. An Weihnachten gehen schließlich auch Menschen in die Kirche, die nicht an Gott glauben. Und das ist auch gut so. Und vermutlich gibt es auch eine ganze Reihe, die sich nicht so sicher sind. Willkommen im Club.

Wenn man in unserer Gesellschaft an Gott glaubt, jedenfalls an den christlichen, dann wir man ja gerne belächelt und für naiv befunden. So als würde man noch an den Weihnachtsmann glauben. 

Schließlich sind wir aufgeklärt. Die Wissenschaft hat erwiesen, dass die Welt nicht in sieben Tagen erschaffen wurde, sondern das Universum mit dem Urknall begann, dass Eva nicht aus der Rippe von Adam geformt wurde, sondern dass wir von den Affen abstammen - genauer gesagt, von gemeinsamen Vorfahren. Und dass Gott nicht als alter Mann im Himmel sitzt, wissen wir spätestens seit Juri Gagarin, der erste Mensch in der Erdumlaufbahn, ihn dort nicht gefunden hat. 

Das ist alles richtig. 

Und gleichzeitig machen viele Menschen denselben Fehler wie Gagarin, der im Brustton der Überzeugung behauptet hat, dass es Gott nicht geben könne, weil er ihn ja im All nicht gesehen hat. Es gibt nicht nur eine naive Gottgläubigkeit, es gibt auch eine naive Wissenschaftsgläubigkeit, die meint, dass wir inzwischen alles erklären können, und es Gott deshalb nicht geben könne.

Natürlich: jedes wissenschaftlich Experiment ist darauf angelegt, dass man es wiederholen und überprüfen kann. Dass bedeutet: wissenschaftliche Experimente müssen Gott ausschließen, sonst würden sie nicht funktionieren. Ich kann keine Experimente machen und damit rechnen, dass Gott eingreift. Das wäre ein Widerspruch in sich. 

Aber: Wissenschaftliche Theorien sind Theorien - sie gelten, bis sie von einer besseren Theorie abgelöst werden. Und eine Aussage über Gott können sie schlicht nicht treffen. Weder positiv noch negativ. 

Dabei ist es absolut faszinierend und ehrfurchtgebietend, was die Wissenschaft über unsere Welt herausgefunden hat - von den unvorstellbaren Weiten des Universums bis zu den kleinsten Bausteinen der Atome und dem Wunder unserer Existenz. Und nach Aussagen von Wissenschaftlern verstehen sie von all dem maximal 5 %. Das ist der Teil, den sie beobachten und verstehen können. 95% des Universums bestehen aus Dunkler Materie und Dunkler Energie, aus etwas, von dem sie wissen, dass es da sein muss, aber schlicht keine Ahnung haben. 

Wie gesagt, wenn Menschen nicht an Gott glauben, weil sie glauben, dass die Wissenschaft inzwischen alles erklären könne und doch klar sei, dass die Welt durch Zufall entstanden sei - dann frage ich mich manchmal, wie sie eigentlich auf die Idee gekommen sind. 

Ganz anders sieht es aus, wenn Menschen nach einer persönlichen Katastrophe nicht oder nicht mehr an Gott glauben können. Wenn etwas geschehen ist, was nicht hätte passieren dürfen, ein Unfall, eine Krankheit. Wenn sie jemanden verloren haben, den sie sehr geliebt haben. Wenn sie gerufen haben und keine Antwort kam.

Ist der Zustand unserer Welt, in der immer noch Krieg herrscht, immer noch Hunger, immer noch Kinder sterben, nicht eine dauernde Anfechtung gegen einen Glauben an einen liebenden und allmächtigen Gott? Wenn Gott alles bestimmt, muss er dann nicht ein Sadist sein - oder zumindest sadistische Züge haben?

Das ist ein Missverständnis, an dem die Kirche mit ihrer Rede von der Allmacht Gottes nicht ganz unschuldig ist. Davon, dass Gott allmächtig sei, ist in der Bibel nämlich nicht die Rede - höchstens als ein vorweggenommenes Lob auf zukünftige paradiesische Zustände.

Im Vater Unser heißt es: Dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden. Christen beten also dafür, dass Gottes Wille sich nicht nur im Himmel durchsetzt, sondern auch hier auf der Erde. Sie beten dafür, dass der Himmel auf die Erde kommt, weil es eben leider längst nicht so ist, dass auf der Erde Gottes Wille herrscht. 

Das beantwortet natürlich nicht alle Fragen - und schon gar nicht die nach sinnlosem Leiden. Ich glaube, dass es Fragen gibt, auf die wir - zumindest hier - keine Antwort bekommen. Und mir waren Leute, die auf alle Fragen eine Antwort hatten, schon immer suspekt, weil diese Antworten immer etwas unbarmherziges hatten. Aber ich glaube, dass Gott uns die Kraft gibt gegen das Leiden in der Welt anzukämpfen, und uns hilft, an persönlichem Leiden nicht zu zerbrechen, sondern daran zu wachsen.

Wenn Menschen an Gott glauben, dann muss man ja eigentlich fragen, was genau sie da glauben. Dass da oben irgendwas ist? An ein höheres Wesen?

Das ist ja auch nicht so einfach. Die Zeiten, in denen der christliche Glaube in Europa konkurrenzlos war, sind lange vorbei. Und sicher kennen Sie alle kennen Menschen, die sagen, ist doch eh alles derselbe Gott.

Mit Blick auf das Judentum, das Christentum und den Islam ist da sicher was dran. Die drei monotheistischen Religionen haben sich gegenseitig stark beeinflusst. Und doch glauben Juden, Christen und Muslime sehr unterschiedliche Dinge von diesem einen Gott. 

Das gilt übrigens auch innerhalb der einzelnen Religionen. Wenn einige meiner besonders frommen Freunde aus der Jugendzeit immer von Jesus gesprochen haben, habe ich mich manchmal gefragt, ob sie den selben Jesus meinen, wie ich. Und wenn man im Fernsehen amerikanische Pastoren sieht öffentlich für die Präsidentschaft von Donald Trump beten und dabei aufpassen müssen, dass sie nicht auf ihren Schleimspurgebeten ausrutschen, frage ich mich auch, ob sie tatsächlich an denselben Gott glauben.

Oder noch etwas grundsätzlicher: Es macht einen Unterschied, ob ich an einen Gott glaube, der das Töten von Ungläubigen belohnt, oder an einen, der uns lehrt, für unsere Feinde zu beten und ihnen Gutes zu tun, wie Jesus es tut. Nicht das der Irrglaube, Gott würde das Töten von Ungläubigen gefallen, nicht auch im Christentum verbreitet gewesen wäre.  Allerdings längst nicht so weit, wie normalerweise angenommen wird. Nicht deshalb, weil Christen per se bessere Menschen wären, sondern weil der biblische Jesus sich so schlecht als Legitimation dafür eignet. Er halt sich lieber selbst umbringen lassen, als andere zu Opfern zu machen.

Es macht einen Unterschied, ob ich an einen Gott glaube, der die Herrschaft der Mächtigen legitimiert, wie es ein Teil der Kirche lange Zeit gepredigt hat, oder an einen Gott, der den Unterdrückten Kraft gibt aufzustehen, wie Jesus es getan hat.

Es macht auch einen Unterschied, ob ich an einen Gott glaube, der nur darauf wartet, dass ich Fehler mache, um mich zu bestrafen und der Menschen klein hält, oder an einen liebenden Vater, der möchte, dass seine Kinder erwachsen, groß und stark werden.

Nun könnten Sie vielleicht sagen, dass der Glaube an Gott, dass Götter überhaupt ein Produkt der menschlichen Phantasie sind. Da ist was dran. Und für die meisten Götter würde ich Ihnen Recht geben.

Wir Menschen sind immer auf der Suche nach einem Sinn - auch wenn da gar keiner ist. Da kann keiner was dafür. Unser Gehirn ist so programmiert. Wir suchen ständig nach Mustern und Bedeutung. Und dann finden wir Zusammenhänge manchmal eben auch da, wo gar keine sind. Deswegen glauben Menschen, die Sterne hätten Macht über ihr Schicksal und deswegen sind Verschwörungstheorien so beliebt, auch wenn wir nur glauben, dass sich die roten Ampeln gegen uns verschworen haben.

Unser Gehirn ist ein absolutes Wunderwerk mit 100 Milliarden Nervenzellen und 100 Billionen Verknüpfungen dieser Nervenzellen. Für die, die keinen Matheleistungskurs hatten - oder heute Abend schon ein bisschen mehr Glühwein - eine Milliarde sind 1.000 Millionen und eine Billion sind 1.000 Milliarden - jedenfalls im Deutschen. Diese atemberaubende Menge an Nervenzellen und Verbindungen befähigt uns zu unglaublichen Dingen - und zum größten Blödsinn. Unsere Nervenzellen haben die Geschenke für Tante Elfriede ausgesucht und uns heute Abend hierher gelotst. 

Unsere Welt findet in unserem Kopf statt und genaugenommen kann niemand beweisen, dass es außerhalb unseres Kopfes ein Realität gibt. Genauso wenig, wie man beweisen kann, dass es Gott gibt. Aber die Wahrscheinlichkeit ist doch relativ hoch.

Aber was heißt das eigentlich: an Gott glauben? 

Im Deutschen heißt, an etwas glauben, es eben nicht genau zu wissen. Wenn ich sage, ich glaube, dass RB Leipzig Deutscher Meister wird, dann vermute ich. Vielleicht mit gutem Grund. Schließlich sind sie in dieser Saison Herbstmeister geworden. Aber letztlich ist es geraten. Ich habe nämlich keine Ahnung von Fußball. Und Sie können mit Fug und Recht sagen: Nee, es werden wieder die Bayern. Dortmund ja vermutlich nicht.

Glauben heißt, etwas vermuten. Weil man es eben nicht genau weiß. - Und das ist ehrlich gesagt keine gute Voraussetzung für eine gelingende Gottesbeziehung. 

Aber es gibt noch eine andere Bedeutungsebene, wenn man das deutsche Wort „glauben“ verwendet.  Zum Beispiel, wenn man sagt: „Ich glaube Dir.“ „Ich glaube dir“ heißt: „Ich vertraue dir.“ Auch wenn ich keine eindeutigen Beweise habe. Damit kommen wir der Sache schon näher. Immer da, wo in der Bibel das Wort „glauben“ auftaucht, muss man eigentlich „vertrauen“ übersetzen. Wenn der erwachsene Jesus in der Bibel also sagt: „Glaubt an Gott und glaubt an mich,“ dann übersetzt man besser: „Vertraut Gott und vertraut mir.“

Ich weiß nicht ja nicht, an was Sie glauben - wem sie vertrauen. Und wahrscheinlich ist das bei jedem auch etwas anders. Ich kann Ihnen nur sagen, an was ich glaube. Worauf ich vertraue. Und Sie einladen, die Welt aus dieser Perspektive zu betrachten.

Ich hatte das Glück, dass mich meine Eltern schon früh mit dem christlichen Glauben vertraut gemacht haben. Und ich hatte das Glück, mich mein Berufsleben mit der Bibel beschäftigen zu können, diesem grandiosen Tagebuch der Menschheit.

Und natürlich kann es sein, dass sich Menschen das alles ausgedacht haben. Dass sie sich etwas einbilden, und dass wir uns etwas einbilden. Kann sein. Niemand kann das beweisen - aber eben auch nicht das Gegenteil.

Ich glaube, dass wir gewollt sind. Dass die Macht, die das Feuer in den Sternen entzündet hat, die Macht, die wollte, dass es Leben auf unserem Planeten gibt - die Macht, die wir Gott nennen, uns liebt und beim Namen ruft und uns auch nicht fallen lässt, wenn wir sterben.

Und es macht einen Unterschied - hier und jetzt - ob ich glaube, dass wir alle hier Produkt eines kosmischen Zufalls sind, oder ob wir geliebt und gewollt sind, nicht nur von Menschen, die uns nahestehen, sondern auf einer ganz grundsätzlichen Ebene.

Und ich weiß, dass viel auf der Welt passiert, dass dieser Überzeugung ins Gesicht schlägt.

Aber es macht einen Unterschied, ob ich glaube, ich muss dass alles alleine schaffen, oder ob ich weiß, dass Hilfe weiter als einen Atemzug entfernt sind, dass es eine gibt Gemeinschaft, die trägt, und dass wir nie tiefer fallen können als aus Gottes Hand.

Es macht einen Unterschied, ob ich glaube, dass dieses Leben hier alles ist, und ich es ausquetschen muss wie eine Zitrone, um auf meine Kosten zu kommen, oder ob ich eine größere Perspektive habe und darauf vertraue, dass das Beste noch kommt.

Im Neuen Testament steht: Gott ist Liebe. Das ist wahrscheinlich der steilste Satz der Bibel - und der Grund für alles. Und das ist das, was ich glaube. Das auf dem Grund der Welt die Liebe wohnt. Und dass die Liebe das letzte Wort hat.

Deshalb ist Gott sich nicht selbst genug. Deshalb hat er dieses wundersame Universum erschaffen. Deshalb sucht er sich eine Gruppe von ehemaligen Sklaven, die er zu seinem Volk macht, damit andere Völker von ihnen lernen. Und deshalb kommt er selbst, als ein Kind, vor dem man keine Angst haben muss. Er macht sich verwundbar und verletzlich, weil er unsere Herzen erreichen will - und unseren Verstand natürlich auch.

Deshalb feiern wir Weihnachten. Aber wir sollten nicht bei dem Jesuskind stehenbleiben. Alles Wesentliche, was von Gott glaube, habe ich von den erwachsenen Jesus gelernt - auch Gottes Liebe zu trauen.

Und wenn Sie jetzt vielleicht sagen, ich würde ja gerne in diesem Vertrauen leben, aber das ist nicht so einfach. - Ja, das ist so. 

Mit dem Glauben - mit dem Vertrauen - ist es ein bisschen so, wie mit dem Schwimmen lernen. Man sollte damit nicht erst anfangen, wenn einem das Wasser bis zum Hals steht.  Deshalb ist es gut sich eine Gemeinschaft von Christen zu suchen und nicht nur an Weihnachten zu Gottesdiensten zu kommen, auch wenn man vielleicht nicht hundert-prozentig überzeugt, sondern auf der Suche ist. Glauben sie bloß nicht, dass alle Gottesdienstbesucher - oder auch der Pfarrer - bei jedem Gottesdienst 100 % überzeugt oder 100 % mit ganzem Herzen dabei ist. Manchmal ist es eher wie Schwimmen lernen. Und normalerweise dauert es eine Weile bis man spürt, dass das Wasser trägt. Aber dann kann man den Stürmen des Lebens besser trotzen. 

Ich weiß nicht, ob oder an was Sie glauben. Und ich will Sie auch nicht beschwatzen. Aber es macht einen Unterschied. Nicht nur an Weihnachten. 

Amen.

Predigt vom Pfr. Jean-Otto Domanski, Martinus-Kirche, 24.12.2019